Maui, Indonesien, Kalifornien? Es gibt eine spannende Alternativen in Schottland!
Wenn man an die Surfspots schlechthin denkt, geht es meistens um Hawaii, Bali oder Kalifornien. Aber auch in Europa haben wir magische Surfspots, von denen die meisten allerdings noch nie etwas gehört haben. Am Ende der letzten Saison war es mal wieder an der Zeit eines dieser versteckten Surfparadiese zu besuchen.
Anfang Oktober sind alle großen Stand-Up-Paddel Rennen vorüber, und es ist Zeit, sich von der Saison zu erholen und neue Kräfte zu schöpfen. Für mich klappt das immer am besten, wenn ich nach Lust und Laune aufs Wasser gehen kann und mich eine Zeit nicht nach dem Trainingsplan, sondern nach dem Forecast richten kann. Umso besser, wenn man an einem Ort ist, an dem der Forecast immer liefert. Ab Herbst zählt hier eine kleine Insel vor der Westküste Schottlands zu den wind- und wellensichersten Orten der Welt.
Das erste Mal von Tiree gehört habe ich 2018, als ich bei Windguru in der Statistik gewühlt habe und die kleine schottische Insel in den Wintermonaten in den Top 10 weltweit auftauchte. Da war mir sofort klar: Dort muss ich unbedingt hin. Gesagt, getan habe ich den März & Februar 2018 auf Tiree verbracht und einer meiner besten Windsurftrips erlebt. Nach dieser Zeit hatte ich es immer im Hinterkopf, einmal wieder auf diese Insel zu reisen, doch erst letztes Jahr kam alles zusammen und ich konnte Tiree einen erneuten Besuch abstatten.
Anreise: Mit dem Flugzeug oder lange fahren?
Es gibt drei Möglichkeiten, wie man auf die Insel kommen kann. Je nachdem, wie viel Material man mitnehmen möchte und wie sehr man es gewohnt ist, lange Strecken mit dem Auto zu fahren, haben alle Reise-Varianten unterschiedliche Vor- und Nachteile. Am schnellsten ist es, zu fliegen. Erst nach Glasgow und von dort mit dem Turboprop auf die Insel. Da die Maschine so klein ist, kann hier allerdings kein Sperrgepäck mitgenommen werden. Um an Windsurf- oder SUP-Equipment zu kommen, muss man sich alles vor Ort leihen.
Will man sein eigenes Material dabei haben, bleibt nur eine der beiden anderen Routen. Entweder mit dem Auto zuerst nach Calais, um von dort mit dem Autozug oder der Fähre nach Dover zu kommen und dann einmal durch ganz Großbritannien bis nach Oban zu fahren. Die andere Variante ist, erst nach Amsterdam zu fahren und von dort die Fähre nach Newcastle zu nehmen. Von dort sind es dann nur noch vier Stunden auf der Straße bis nach Oban. Die Route über Calais ist deutlich flexibler, da die Züge und Fähren nach Dover viel enger getaktet sind als die Fähre von Amsterdam, die nur einmal alle zwei Tage fährt. Dafür ist die Fahrstrecke deutlich länger. Von Oban aus geht es dann noch einmal mit CalMac Ferries durch die Innere See Schottlands, bevor man nach kurzem Zwischenstopp auf Coll und vier Stunden auf der Fähre auf Tiree ankommt. Für beide Fahrtstrecken sollte man jeweils ca. 3 Reisetage einplanen.
Am komfortabelsten hat sich die Route über Amsterdam herausgestellt, da sich hier die Autofahrten ideal mit den Fährenfahrten abwechseln und man so nie übermäßig lange hinter dem Steuer verbringen muss- ein entspanntes Ankommen auf der Insel ist garantiert.
Materialauswahl: Für alle Bedingungen das Richtige im Quiver
Von den Erfahrungen meines letzten Besuches gut vorbereitet, war der ganze Van mit allen erdenklichen Spielsachen vollgepackt. Für eine Reise nach Tiree empfiehlt es sich wirklich auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, denn die Insel wird alle möglichen Bedingungen liefern.
An den windigen Tagen, von denen es nicht allzu wenige gibt, findet sich eigentlich immer ein Windsurf-Spot, um bei idealen Bedingungen in die Welle zu gehen oder sich in einem geschützten Bucht bei Flachwasser aufs Freeriden oder Freestylen zu konzentrieren.
Wenn kein Wind ist, ist entweder genug Rest-Windwelle vorhanden, oder der Atlantik bringt zweistellig-sekündigen Swell, um SUP-Surfen oder Wellenreiten zu gehen. Es gibt in den zahlreichen C-Buchten also immer irgendwo gute Bedingungen zum Stand-Up-Paddeln oder Windsurfen.
Tiree Wave Classics: Das Windsurf-Event mit langer Tradition
Die erste Woche war im Zuge der Tiree Wave Classics dem Windsurfen gewidmet. Das am längsten laufende Windsurfevent der Welt, sollte auch dieses Jahr wieder bei perfektem Forecast stattfinden. Direkt am ersten Tag begrüßten uns 30 Knoten Wind und kopfhohe Wellen für die Single Elimination. Ich bin zwar nicht weit gekommen, da Wave-Windsurfen nicht unbedingt meine Hauptdisziplin ist. Aber es war ein super Erlebnis, sich mit den besten Wave-Windsurfern Großbritanniens zu messen. Nach dem frühen Ausscheiden, hatte ich den Nachmittag sogar noch frei, um mit dem Raceboard ein bisschen in die Welle zu gehen.
Das Besondere an den Tiree Wave Classics ist, dass das ganze Event mobil ist und je nach Forecast zum besten Spot verlagert wird. Dabei hilft gefühlt die gesamte Insel mit, um das Event auf die Beine zu stellen. Der Surfschulenbesitzer organisiert das Event, die Landwirte helfen dabei, den Judging Container zum und vom Strand zu bringen und das abendliche Sit-in ist jeden Tag in einem anderen Restaurant oder Hotel der Insel. Genauso enstpannt und liebevoll wie das Event organisiert wird, ist auch die Stimmung. Das Event gleicht eher einem großen Windsurf-Fest als einem verbissenen Wettkampf.
Insgesamt hatten wir so viel Wind und Wellen, dass wir sogar eine Triple-Elimination fahren konnten – was ich so noch bei keinem Windsurf-Event erlebt hatte.
Die Ruhe nach dem (Event)-Sturm
Die Wave Classics sind das letzte große Event im Jahr auf Tiree. Sobald die Competition vorbei ist und die letzten Windsurfer die Insel verlassen haben, kehrt Ruhe auf der Insel ein. Wo noch während des Events über fünfzig Segel und Boards am Strand lagen, sitzt man jetzt völlig alleine im Line-up. Die Bedingungen fangen jetzt auch erst an, richtig gut zu werden. Es wird komplett ruhig auf der Insel und die einzigen Gedanken, die einem durch den Kopf gehen sind, ob heute ein Foil oder eine Finne unter dem Board montiert wird, und ob einen das Segel oder das Paddel antreibt. Der Tagesablauf richtet sich dann nur noch nach dem Forecast und der Tide. Genau diese Ruhe ist es, die Tiree ausmacht und einen von Tag eins vergessen lässt, welcher Wochentag denn eigentlich gerade ist. Was die Insel zum perfekten Ort macht, um nach der Saison die Batterien wieder aufzuladen.
Die Hauptspots der Insel liegen allesamt im Westen der Insel und decken jeweils eine bestimmte Swell-Richtung ab. Dazu gehören Balevullin im Nordwesten der Insel, The Maze an der Westküste und Balephuil im Südwesten. Alle drei Spots funktionieren am besten bei auflaufenden Wasser bei mittlerer Tide. Steigt das Wasser zu hoch, funktionieren die Sandbänke nicht mehr ideal. Die Wellen werden dann aber meistens trotzdem noch steil genug, um die ersten Schritte auf dem Sup-Foil zu versuchen. Bei ablaufendem Wasser fangen dann die Sandbänke wieder an besser zu funktionieren, allerdings nicht so gut wie bei auflaufendem Wasser.
Da die besten Strände am offenen Atlantik liegen, können die Wellen bei der richtigen Vorhersage ganz schön groß und kraftvoll werden. Welleneinsteiger sind dann am besten beraten, die Ausweichspots weiter im Osten der Insel zu nutzen. Crossapol und Gott Bay liegen etwas Geschütz von Ben Hynish. Um hier anzugelangen, müssen sich die Wellen erst in die Bucht drehen und werden dadurch deutlich entschärft. Wenn also an den Haupspots sich nur die Cracks wie Kai raustrauen, gibt es immer Alternativen mit etwas weniger, aber genauso sortierter Welle.
Atemberaubende Natur - nicht nur an der Küste
Sollte einmal weder Wind noch Welle sein, lohnt es sich, die Insel zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erkunden. Meine Lieblingstour geht von Balephuil aus um den ca. 100 m hohen Kenavara. Von dort habt ihr eine fantastische Aussicht über die Insel und wandert durch eine von Wiesen und Fels gespickte Landschaft. Auch der Ben Hynish auf der anderen Seite lädt zum Erkunden ein. Oben an dessen Spitze befindet sich die Radarstation der NATS, die von den Bewohnern der Insel als „der Golfball“ bezeichnet wird. Rund um den Ben Hynish gibt es viele kleine Buchten mit einsamen Stränden zu entdecken.
Auch empfehlenswert ist die Nordküste Tirees, besonders die beiden Buchten bei Salum und Vaul. Hier finden sich bei Niedrigwasser hunderte von Kegelrobben auf den aus dem Wasser schauenden Felsen. Wer sich das Ganze genauer anschauen möchte, sollte unbedingt ein Fernglas oder eine Kamera mit Teleobjektiv mitnehmen.
Ende Oktober war es nach vier Wochen wieder an der Zeit, die Insel zu verlassen. Wie beim letzten mal, war es wieder ein unvergesslicher Trip zu einer der schönsten Inseln Schottlands. Gerade zurück, die Batterien gefüllt und gestärkt für die kommende Saison, steht jetzt schon fest: „Das war nicht mein letzter Besuch von Schottlands Wassersport Destination Nr. 1“.